10.01.2009

Regine Pfeiffer

Gewaltverherrlichung und Antisemitismus in den Computerspielen GTA und Der Pate

In den meisten Computerspielen kämpft der Held gegen das Böse, gegen übermächtige und oft schurkische Feinde. Aber es gibt auch Spiele, in denen sich die Fronten verkehrt haben: der Spieler ist der Böse und agiert als Krimineller, als Mafioso, als Auftragsmörder. GTA und Der Pate gehören zu dieser Gattung.

GTA San Andreas

Der Titel GTA stammt aus dem amerikanischen Strafrecht – „Großer Autodiebstahl“ – und bezeichnet eine der häufigsten virtuellen Straftaten, die der Spieler in dieser Serie begeht: Mit der Taste F – in der PC Variante – dirigiert er den Protagonisten des Spiels, sein Alter Ego, zu einem in der Nähe stehenden Auto, lässt ihn die Tür aufreißen, unter Beschimpfungen den Fahrer oder die Fahrerin (jeden Alters) auf die Straße werfen und dessen oder deren Platz einnehmen.

Innerhalb der GTA-Serie war der vorletzte Titel GTA San Andreas besonders erfolgreich. Der Entwickler betrachtet das Spiel als eine satirische Darstellung der amerikanischen Gesellschaft, und wenn man das Englisch in einem der Auto-Radiosender des Spiels versteht, merkt man das auch.
Nebenbei, diese Dinge können den Spiele-Laien nur in größtes Erstaunen versetzen: Es gibt acht Musik- und einen Talk-Radio-Sender, und es ist tatsächlich ein Vergnügen, sich in ein virtuelles Auto zu setzen, in der Gegend herumzufahren und sich anzuhören, was die Radiosprecher von sich geben. In einer Sendefolge „The Wild Traveler“ beispielsweise wird – wirklich witzig und scharf – die Heuchelei der Kinder-ausbeutenden Asientouristen aufs Korn genommen[1].

Betrachtet man jedoch die Gewalt in diesem Spiel, drängt sich der Verdacht auf, dass die Satire funktionalisiert wird, um diese zu legitimieren. Wie sollte es der Bloßstellung der amerikanischen Gesellschaft dienen, wenn dem Spieler ein Messer zur Verfügung gestellt wird, mit dem er Frauen die Kehle durchschneiden, oder eine Kettensäge, mit der er Menschen auf der Straße verfolgen und diese dann zerstückeln[2] kann oder wenn er aufgefordert wird, einen lebenden Bauarbeiter in eine Baugrube zu schieben und ihn dann unter einer Ladung Zement zu begraben?
Die Entwickler wussten: VIOLENCE SELLS.

Der Pate

Das war auch dem größten Spiele-Publisher der Welt, Electronic Arts, klar. Deswegen hat die Firma versucht, das GTA-Prinzip „Spielen aus der Perspektive eines Mafia-Verbrechers“ zu übertrumpfen. Sie brachten 2006 Der Pate: Das Spiel und – mit horrenden Entwicklungs- und Werbekosten – 2007 Der Pate: Die Don Edition raus. Dieses Spiel übertrifft die bisherigen GTA Spiele an moralischem Zynismus und Verherrlichung von Gewalt. Dafür einige Beispiele[3]:

Menschen Braten: Im „Offiziellen Lösungsbuch“ zum Spiel wird über zwei Seiten die Ermordung eines Menschen – Leon Grossi – wie die Zubereitung einer Mahlzeit dargestellt: Es ist von „Braten“ und „Frittieren“ die Rede, und es fallen Sätze wie „Ihr Grossi ist gar.“ Die Methode wird als „amüsant“ und „unglaublich befriedigend“ beschrieben[4].

Folterbefehl: Beim ‚Mordauftrag 8’ soll Oscar Zavarelle getötet werden. Es heißt dazu im Lösungsbuch: „Ich will, dass Oscar Zavarelle leidet. Ich habe meine Gründe dafür. Töte ihn nicht gleich, sondern lass ihn langsam ausbluten. Wie ein Schwein ... Die Vorgabe ist, Oscar ins Knie zu schießen, dann in die Schulter und zuletzt ins Kinn. Befolge diesen Plan, um einen zusätzlichen Respekt-Bonus zu erhalten.“[5]

Spaßbegriffe für Morden: Das Spiel bezeichnet die vielfältigen Mordmethoden mit euphemistischen Spaßbegriffen: „Sizilianische Fackel“ heißt das Anzünden eines stehenden Menschen, das geschilderte Verbrennen eines Menschen im Ofen „Überhitzung“. Das Töten eines knienden Menschen durch einen Schuss ins Gesicht wird „Gesichtsverlust“ genannt.

Die zynischen Euphemismen richten sich ausschließlich an den realen Spieler, der sie auf dem Bildschirm etwa im Kontext der Aufgabenstellungen, als Erfolgsmeldung oder innerhalb seiner Belohnungsbuchhaltung liest. Auf der fiktiven Handlungsebene kommen sie nicht vor. Die virtuellen Charaktere sagen nicht etwa: „Wende die Methode Gesichtsverlust an“, sondern einfach „knall ihn ab“ oder dergleichen. Auf dem Bildschirm erzeugen diese Begriffe „eine augenzwinkernde Kumpanei zwischen dem Sender der Botschaft – dem Spiel-Entwickler – und dem Anwender. Diesem wird das Gefühl vermittelt, er handle in einer Art kollektivem Einverständnis mit all denjenigen, für die Grenzverletzungen bei Unterhaltungsgewalt komisch sind, so dass jedes Spiel damit erlaubt ist.“[6]

MessbalkenMessbalken für Angst: In Der Pate werden Geld und Respektpunkte unter anderem durch Schutzgelderpressungen verdient. Dabei nutzt der Spieler die sogenannte Druckanzeige, auf der die Angst – das Spiel sagt, die Anspannung – der Erpressungsopfer abzulesen ist. Nicht umsonst sieht diese aus wie ein Fieberthermometer.
Die Verwendung dieser Anzeige wird dem Spieler in einer Zwischensequenz aufs Genaueste erklärt:

„Jeder Geschäftsmann hat zwei Linien. Sie zeigen an, wann er kapituliert oder sich wehrt. Je näher du einen Geschäftsmann seiner Kapitulationslinie bringst, ohne es zu übertreiben, desto mehr Geld kannst du ihm abknöpfen. Pass aber auf. Irgendwann ist Schluss. Wenn du zu weit gehst, greift dich dein Geschäftspartner sogar an. Sei einfach überzeugend. Bedroh das arme Schwein mit deinen Fäusten oder deiner Kanone. Oder demoliere seine Einrichtung und verprügle seine Kunden. Lass dir was einfallen. Ich persönlich bevorzuge die direkte Methode. Ich breche mit seinem Schädel die Kasse auf.“[7]

Was der Sprecher nicht korrekt erklärt, ist die Tatsache, dass mit der Druckanzeige nicht nur die Gegenwehr, sondern vor allem der Tod des Opfers vermieden werden soll. Das ist für Schutzgelderpressungen natürlich von elementarer Bedeutung, denn, wie das Begleitheft richtig feststellt: Tote zahlen nicht.

DRADas nebenstehende Bild ist die Zusammenstellung von Druck- und Belohnungsanzeigen einer Erpressungssequenz. Es zeigt den Zusammenhang zwischen der Erzeugung von Angst und der Belohnung: 70 Respektpunkte und 975 Dollar hat der Spieler seinem Opfer hier abgepresst: „Verhandlung erfolgreich“ wird ihm am Schluss mitgeteilt. Die Steigerung der Gewalt muss nicht in direkter Aktion gegen den Geschäftsinhaber stattfinden. Der Spieler kann auch „Gewalt gegen Unschuldige“, etwa gegen die Gäste eines Restaurants, anwenden. Durch Experimentieren mit verschiedenen Gewaltformen muss er herausfinden, wo der „Schwachpunkt“ des jeweiligen Geschäftsinhabers liegt, und kann auf diese Weise seinen Profit steigern. In einer Spielsequenz etwa, weigert sich eine Restaurantbesitzerin zu zahlen, sie ohrfeigt sogar den Erpresser. Daraufhin erschießt dieser einen Gast, und schon kommt Geld in seine Kasse. Sinnigerweise hört man dabei das Geräusch fallender Münzen.

Das Spiel Der Pate war nicht besonders erfolgreich. Offensichtlich waren die konfuse Geschichte der Hauptmissionen und die stupide Aneinanderreihung von Mordaufträgen und Erpressungen den Spielern zu langweilig.
Aber Electronic Arts – inzwischen ein etwas angeschlagener Branchenriese – wollte die Mafia-Masche nicht aufgeben. Anfang dieses Jahres versuchte die Firma, den GTA-Produzenten, Take Two Interactive, aufzukaufen. Es war sogar von „feindlicher Übernahme“ die Rede. Take Two aber war gerade dabei, mit GTA IV einen absoluten Blockbuster zu veröffentlichen und sträubte sich gegen die Umarmung. Inzwischen liest man, EA habe die Pläne ad acta gelegt[8].

GTA IV

GTA PlakatGTA IV erschien am 28. April 2008, mit einer skandalösen Altersfreigabe „ab 18“[9], die dem Hersteller erlaubte, eine Werbekampagne zu starten, wie es sie bisher für ein Videospiel noch nicht gegeben hatte, und die zu einem der weltweit größten, wenn nicht dem größten Verkaufserfolg beitrug, den ein Unterhaltungsmedium je erzielte. Allein in der ersten Woche wurden Spiele im Wert von 500 Millionen US Dollar verkauft.

GTA IV wurde von der New York Times zum besten Spiel des Jahres gekürt. Die Authentizität der Stadtlandschaft, die Vielfalt und Vielschichtigkeit der Charaktere, die Unterhaltsamkeit der Missionen, die Integration moderner Kommunikationsmedien (Zusätzlich zu den diversen Radiosendern: Fernsehen, Internet, Handy) in das Spiel und vor allem die Genauigkeit der Satire, alles wird in den Medien unisono gepriesen.
BruceDie Grafik des Spiels ist weit entfernt von dem flächigen Comic Stil der früheren Versionen. Die künstlich programmierten Figuren, mit denen der Spieler agiert, wirken wie lebendige Menschen. Dies trägt zu Verschärfung und Pointierung der Satire bei. Wenn etwa der Fitnessfanatiker Bruce Kibbutz auftritt, anhand dessen nicht nur die körperlichen sondern auch die psychischen Wirkungen von Steroiden karikiert werden, dann ist die komische Wirkung auch deswegen so pointiert, weil man das Spiel seiner Muskeln tatsächlich sehen kann.
Der Realismus der Personendarstellung macht aber vor allem den Charakter, den der Spieler lenkt, Niko Bellic, zu einem lebendigeren Identifikationsangebot als seine Entsprechungen in GTA San Andreas oder Der Pate. Das Spiel versucht, den Helden als tragische Figur darzustellen, der als bosnischer Kriegsveteran in Amerika sein Glück sucht, aber dann in kriminellen Aktivitäten stecken bleibt. Seine Erfahrung mit Krieg und Gewalt ergibt aber nicht mehr als ein paar Geschichten, die der Held mit düsterem Pathos vorträgt. Sie prägt nicht die Situationen, in denen er mit seinen Auftraggebern agiert. Im ersten Teil des Spiels gibt es noch ein paar Momente des Zögerns, aber dann wird der Protagonist zum gewissenlosen Auftragskiller.
Die Gewalt in diesem Spiel hat eine neue Qualität. Die Anzahl der Waffen hat sich verringert, und diese sind weniger exotisch als in San Andreas. So gibt es keine Kettensäge mehr und natürlich auch nicht mehr die Optionen, mit einem Blumenstrauß oder gar Dildo oder auf den Gegner einzuschlagen. Der Protagonist traktiert seine Opfer mit Fäusten und Füßen, und nach wie vor ist das Auto Mordinstrument Nummer eins. Gewalt ist also realistischer geworden, und zwar auch, was die Wirkung auf die Opfer betrifft, die sich oft in Schmerzen winden und aus deren Körpern Blut spritzt, das an Wänden sichtbar bleibt.
Was sich aber vor allem verändert hat, ist der Kontext, in dem Gewalt angewendet wird. Isoliert betrachtet, nehmen die Gewaltakte einen geringeren Raum im Gesamtverlauf des Spiels ein, was für die USK ein Grund war, das Spiel nicht zu indizieren. Ein rein quantitativer Maßstab ist hier jedoch nicht angemessen, denn durch den Handlungskontext erhält die Gewalt eine besondere Dimension von Zynismus und Hinterhältigkeit. Immer wieder lockt der Protagonist seine Opfer in Fallen, spricht mit ihnen und bringt sie dann um.

JudenmordIn einigen Fällen bedient das Spiel zusätzlich spezifische Ressentiments und Gewaltbedürfnisse. So muss der Spieler einen Homosexuellen ermorden, gegen den nichts weiter vorgebracht wird, als dass er dem Auftraggeber Geld schuldet, und schließlich zwei jüdische Diamantenhändler (dazu eine große Anzahl weiterer Juden, die am Ort des Mordes anwesend sind).

In der entsprechenden Spielsequenz – late checkout – transportieren die Entwickler und die Übersetzer der deutschen Untertitel eine ganze Reihe antisemitischer Vorurteile und Klischees.

Es ist geradezu makaber, wie weitgehend die dargestellten Eigenschaften denen von Josef Süß in dem Nazi Propagandafilm „Jud Süß“ entsprechen:

(Den Film kann man im Internet anschauen.)

Fazit

Auf der Münchener Tagung „Computerspiele und Gewalt“[11] stellte Rainer Fromm einen Zusammenhang zwischen bestimmten Gewalt-Optionen in Computerspielen und dem Holocaust her. Er sagte, vor dem Hintergrund der Shoah könnte es nicht angehen, dass in bestimmten Kriegsspielen die Anwendung von Giftgas möglich ist.

Aus dem gleichen Grund geht es nicht an, dass Der Pate die Option anbietet, Menschen lebendig ins Feuer zu werfen und dass in GTA IV die Ermordung von Juden Spielinhalt ist und dabei antisemitische Propagandasprache verwendet wird.


  1. Untertitel gibt es nur für das, was die Spielfiguren sagen, nicht für die Radiosprecher. So werden die deutschen Spieler diese nur in Ausnahmefällen verstehen und die satirischen Elemente des Spiels kaum wahrnehmen.
  2. "Zerstückeln" bezieht sich auf die amerikanische Fassung. In der deutschen berührt der Verfolger seine Opfer mit der Kettensäge, bei äußerst realistischer Geräuschkulisse. Diese bleiben in einer Blutlache liegen. Es gibt aber leicht zugängliche Cheats, die Mordakte wieder in die Originalfassung zurückverwandeln.
  3. Zusammenstellung von Gewaltszenen aus dem Spiel:
    http://video.aol.com/video-detail/der-pate-imaginary-musik-video/582260018 (2.12.08)
    http://uk.xbox360.ign.com/dor/objects/729509/the-godfather/videos/godfather_360_080406.html (19.12.08)
  4. Der Pate: Das Spiel, Lösungsbuch S. 217
    Diese Offiziellen Lösungsbücher werden nicht von den Spielefirmen direkt rausgegeben. Aber natürlich hätte EA interveniert, wenn sie gegen diese Beschreibung Einwände hätten. Der Pressesprecher von EA, Manfred Lorber, hat in der öffentlichen Auseinandersetzung über das Spiel die Mitverantwortung zugegeben. S. Anmerkung 11. Bei Amazon steht unter dem Titel des Buches "Von Electronic Arts".
  5. Lösungsbuch S. 218
  6. David Klinkhammer, Regine Pfeiffer, KFN FORSCHUNGSBERICHTE Nr. 102, Gewaltverherrlichung in dem PlayStation 3-Spiel "Der Pate: Die Don Edition" Expertise im Rahmen des Forschungsprojektes "Alterseinstufung von Computerspielen durch die USK" 2007, S. 24
  7. Der Pate: Die Don Edition Mission 02
  8. http://michaelcomeau.blogspot.com/2008/09/electronic-arts-drops-bid-for-take-two.html (2.12.08)
  9. Rehbein, F., Kleimann, M. & Mößle, T. (2008). Zur Einstufung des Videospiels GTA IV durch die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) mit "Keine Jugendfreigabe". Die Autoren weisen schlüssig nach, dass GTA IV nach allen Regeln der USK eine Indizierung hätte erhalten müssen.
  10. http://gta.wikia.com/wiki/Jewish_Mob
    The Jewish Mob is a criminal organization which has only ever appeared in GTA IV. There is no clear/permanent Jewish Mob in GTA IV but the mob does show up in two missions involving a diamond purchase gone wrong. Isaac Roth, one of the Hasidim, appears to be the boss of the operation, with Mori Green, a standard Orthodox Jew, as his right hand. The LCPD database says that Roth, Green and The Jewish Mob in general do deals often with African warlord Claude Wome, who is an African diamond dealer dealing straight from Africa. In their deals, Wome imports blood diamonds directly from Africa to the Jewish Mob.
  11. http://www.hm-medienkongress.de/