Archiv für den Monat: August 2009

Offener Brief an Martin Lorber

Betreff: „Schweinefirma“

—–Ursprüngliche Nachricht—–
Von: Lorber, Martin
Gesendet: Montag, 24. November 2008 16:02
An: Regine Pfeiffer
Betreff: AW: Kongress in München
[…]
Im Übrigen glaube ich eigentlich nicht, dass wir in unterschiedlichen Welten leben. Das eine oder andere interpretieren wir vielleicht unterschiedlich beziehungsweise wir haben unterschiedliche Sichtweisen darauf. Sie betrachten Computer- und Videospiele – so scheint es mir wenigstens – unter dem Aspekt des Gefährdungspotenzials bei unangemessener Nutzung. Das ist sicherlich eine Sichtweise, die man haben kann. Es gibt aber auch andere. Von Ihrer Reise nach Korea müssen Sie mir mal bei Gelegenheit berichten. Das war sicherlich sehr spannend.
[…]
10.01.2009

Sehr geehrter Herr Lorber,

nachdem ich Electronic Arts öffentlich „Schweinefirma“ genannt hatte, erhielt ich von Ihnen als Head of PR drei E-Mails. Eigentlich hatte ich erwartet, dass Sie sich in irgendeiner Form gegen die Bezeichnung zur Wehr setzen würden, aber Sie haben das nicht getan.

Die letzte Mail beantworte ich hier, denn ich denke, der Widerspruch zwischen dem, was Sie offiziell in den Medien zu meiner Äußerung sagten und dem, was Sie mir persönlich schreiben, ist auch von öffentlichem Interesse.

Drei Punkte vor allem finde ich bemerkenswert:

  1. Sie sprechen die Frage einer Entschuldigung mit keinem Wort an, weder von einer Empfehlung noch von einer Forderung ist die Rede. Sie schlagen im Gegenteil sogar vor, dass wir uns „bei Gelegenheit“ über meine Studienreise nach Korea und Computerspielesucht unterhalten.
  2. Sie gehen auf meine Aussagen zum Spiel Der Pate nicht ein.
  3. Es scheint Ihnen – so schreiben Sie – dass ich Computerspiele vor allem „unter dem Aspekt des Gefährdungspotenzials bei unangemessener Nutzung“ betrachte und wir von daher doch nicht in so unterschiedlichen Welten leben.

Alles zusammengenommen, ist offenkundig, dass diese E-Mails ein Versuch waren, mich zu besänftigen und weitere öffentliche Aussagen über das Spiel zu verhindern. Herr Lorber, wenn ich solche Aussagen nicht sowieso schon vorgehabt hätte: Ihre Briefe hätten mich ganz gewiss in Richtung „Fortsetzung folgt“ motiviert.

Was ich vor allem hier kommentieren möchte, ist Ihre Aussage, ich würde Computerspiele „unter dem Aspekt des Gefährdungspotentials bei unangemessener Nutzung“ betrachten. Sie ist angesichts dessen, was ich über Ihr Spiel gesagt habe, geradezu grotesk.

Darf ich Sie erinnern? Ich beschrieb Ihnen den Kontext, in dem ich Elektronik Arts als Schweinefirma bezeichnete, wie folgt:

„Ausgangspunkt meiner Ausführungen war ein Zitat aus dem Lösungsbuch, das den Mord an einem Menschen – Leon Grossi – wie die Zubereitung einer Mahlzeit darstellt und explizit feststellt, wie es Spaß macht (im Text heißt es, dass es amüsant ist), den Menschen überm Feuer des Backofens zu braten.

(Im Text gibt es übrigens auch die Formulierung „Ihr Grossi ist gar!“) Da die Zeit in München äußerst knapp kalkuliert war, konnte ich über das Spiel nicht mehr berichten. Ich hätte das gern getan. Die Videos, die Herr Fromm gezeigt hatte, enthüllen zwar die Gewalt, aber noch nicht ganz die Gewaltverherrlichung und nicht die Tatsache, dass man hier für die Steigerung der Gewalt mit Punkten und Geld belohnt wird, und dass die Angst des Opfers in einer Druckanzeige gemessen wird.“

Wie soll man denn ein Spiel, in dem derartige Scheußlichkeiten vorkommen, angemessen nutzen? Und wie können Sie mir unterstellen, ich hielte das für möglich, und behaupten sogar eine gewisse Übereinstimmung zwischen uns?
Dass Sie mich von weiteren Äußerungen über Ihr Spiel abbringen wollen, verstehe ich, aber dass Sie es mit so unsinnigen Argumenten versuchen, verstehe ich nicht. Entweder haben Sie meine Mail nur halb gelesen, oder Sie haben das Gelesene nicht verstanden.

Deswegen noch einmal etwas deutlicher, Herr Lorber: Ihr Spiel Der Pate war ja nicht ein kleines Randprodukt, sondern der groß angelegte Versuch, GTA den Rang abzulaufen. Ich kenne jede Mission, jeden Mordauftrag und jede Erpressungsmethode, die das Spiel anbietet: Die Anzeige, mit der die Angst der Opfer gemessen wird, finde ich widerwärtig, das Spiel mit dem Feuer, in das Menschen geworfen werden – vor allem in Deutschland – unverzeihlich, und die Beschreibung dieser Grausamkeit als „amüsant“ ist der schlimmste Zynismus, der mir in der Welt der Computerspiele je begegnet ist. Mit dem Begriff Gewaltverharmlosung ist das gar nicht mehr zu erfassen.

War das verständlich, Herr Lorber? Sehen Sie jetzt, dass wir in unterschiedlichen Welten leben? Ihre Welt ist nicht nur durch die schamlose Produktion von Unterhaltungsgewalt geprägt, sondern vor allem auch durch bestimmte Denkgewohnheiten: Verharmlosen, Verdrängen, Nicht Sehen-wollen. Das wird sich wohl durch noch so drastische Rückmeldungen kaum ändern.

Herr Lorber, Sie haben mir zu Weihnachten handschriftlich Grüße gesendet und mir ein gesegnetes Fest gewünscht. Darüber war ich erstaunt. Falls das eine Geste christlichen Vergebens war, muss ich Ihnen sagen, dass dies bei mir nicht ankommt. Ich habe mich ja weder bei Electronic Arts noch bei Ihnen persönlich für meine Münchner Formulierung entschuldigt, und ich habe auch nicht vor, das zu tun. Der von mir gewählte Begriff war sicher keine rhetorische Meisterleistung, aber er drückte den Widerwillen aus, den ich empfand, als ich die von Herrn Fromm vorgeführten Gewaltszenen in Ihrem Spiel Der Pate sah.
Um den emotionalen Ausdruck durch eine reflektiertere Darstellung zu ergänzen, füge ich hier einen Text bei, der die Gewaltverherrlichung in Ihrem Spiel belegt. Für detailliertere Informationen zu dem Thema empfehle ich Ihnen die Analyse, die ich vor einem Jahr zusammen mit David Klinkhammer veröffentlicht habe. Den Titel finden Sie in Anmerkung 6 des Textes.

Die Schweine, die ja selbst Opfer schrecklicher Gewalt sind, werde ich ganz gewiss nicht mehr für polemische Zwecke missbrauchen. Als eine Form der Entschuldigung habe ich einer Organisation, die gegen Tiertransporte kämpft, eine Spende überwiesen.

Mit besten Grüßen

Regine Pfeiffer

Anlagen:
Gewaltverherrlichung und Antisemitismus in den Computerspielen Der Pate und GTA
Hintergrund „Schweinefirma“