Archiv der Kategorie: Öffentliche Auseinandersetzung

Zum Frontal 21 Beitrag „Kostenfalle: Kinderspiele im Internet“ 11.12.2012

Link zum Beitrag

Anfang Dez. wurde ich von Frontal 21 zum Thema Free-to-play Games interviewt. Zwei meiner Aussagen wurden in den o.g. Beitrag „Kostenfalle: Kinderspiele im Internet“ aufgenommen:

a) Früher haben die Entwickler nichts weiter machen müssen als schöne Spiele entwickeln, und jetzt müssen die Entwickler den Verkauf dieser Items mit ihm Kopf haben, als von vornherein müssen die das mit einplanen, dass die die Spiele so machen, dass die Spieler in Situationen kommen, wo sie mehr oder weniger, nicht gezwungen, wo sie verführt werden solche Items zu kaufen.

b) Ich berichtete über eine Konferenz, auf der der Monetarisierungs-Experte Julian Hühnermann gesprochen hatte. Er hatte gesagt: „Entwickler müssten Spaß daran haben, Leute abzuzocken“.

Hier werde ich Stellung nehmen

a) zu den Aussagen von Herrn Hühnermann
b) zum Free-to-play Geschäftsmodell

 

Julian Hühnermann

Der F21 Beitrag hat meine Aussagen über Herrn Hühnermann fehlerhaft zusammengefügt.

Hier die Korrekturen und eine Ergänzung:

a) Ich besuchte am 25. Und 26. Mai 2011 den Social Gaming/Social Goods Summit in Berlin.
Hier hielt Julian Hühnermann einen Vortrag zum Thema „Monetization and Balancing in Browsergames“. Ich habe diesen Vortrag mitgeschnitten, was erlaubt war, und zitiere deswegen wörtlich aus ihm. (Im Internet ist der Vortrag nicht mehr zu finden.)

„Die Leute müssen Spaß daran haben, Geld aus anderen Leuten rauszuholen, … so dass Leute, die produzieren, und die Produktmanager, sie müssen Spaß daran haben im Grund, ja, sagen wir es so: Leute abzuzocken.“ („So people have to have fun getting money outside of other people, … so that people who produce, and the product managers they have to have fun with – yea let’s say with basically ripping off people“).
Herr Hühnermann erläuterte nach diesen Erklärungen den Unterschied zwischen „Soft balancing“, das nach dem Prinzip von Fairness funktioniert und Hard Balancing. Zum zweiten sagte er „That’s where the money comes in“. Mit großer Begeisterung beschrieb er, wie der Spieler dazu verführt wird, seinen Tank, der ihn 30 Euro gekostet hatte, durch einen neuen zu ersetzen, nur weil dieser einen Kanonenslot mehr hat, und wie er sich über den Neuerwerb freut: „Yea, a new tank. I get a lot more with that … and I have to keep at it, because I can be stronger in the game that I love most, and I could be better than somebody else.“ „Und dann rechnete er den Profit vor, vor allem den, der mit dem Verbrauch von Kanonenkugeln gemacht wird.

In dem Zusammenhang sagte Herr Hühnermann, … und das ist wohl einer der Gründe, warum ich meine Kinder keine free-to-play Spiele spielen lassen würde. Aber es ist eine Methode Geld zu machen“.
(„But here is what we think as developers behind it, and that maybe a reason why I wouldn’t let my kids play free-to-play games. But it’s a way to get money.“)

Casual Connect Europe: February 7 – 9, 2012

Auf der Casual Connect Konferenz hielt Herr Hühnermann den gleichen Vortrag in abgewandelter Form noch einmal und stellte ihn YouTube. Wieder sprach er über einen Spieler, dem Geld abgenommen wird. Wieder war seine Begeisterung darüber groß, dass dieser nicht merkt, wie er verführt wird (They don’t think that you are actually ripping them off. They will like it.)

Herr Hühnermann hat dieses Video aus YouTube genommen, nicht weil ihm der Zusammenhang mit der Frontal 21 Diskussion peinlich war, wie ein GameStar Redakteur in einem YouTube Kommentar behauptete, sondern offenkundig, weil er nicht wollte, dass diese zynischen Aussagen über die Verführbarkeit der Spieler in der Nicht-Entwickler-Öffentlichkeit bekannt werden.

 

Ethische Fragen zum free-to-play Geschäftsmodell

Dass man einem Computerspiel Gegenstände kaufen kann, die dem Spieler Spielvorteile bringen, war – anders als in asiatischen Ländern – im Westen lange verpönt und bis heute finden es viele, oder die meisten, Spieler anstößig.

Electronic Arts, jedoch, eine in vielerlei Hinsicht moralisch defizitäre Firma – sie hat in Amerika für ihre üblen Geschäftspraktiken 2012 den so genannten POO Award bekommen – also EA sprach sich 2009 öffentlich dafür aus, dieses Tabu zu brechen. Gefragt nach den Micropayments als Einnahmequelle der Zukunft, sagte Gerhard Florin, damals „zuständig für Internationales“: „Märkte, in denen es schon sehr gut funktioniert, sind Korea und China. Beide zusammen erwirtschaften mehrere Milliarden Dollar – das meiste durch Micropayments. Begonnen hat das mit dekorativen Items, mit denen die Spieler ihre Figuren schöner aussehen lassen können. Damit ist aber nicht mehr viel Geld zu verdienen. Was heute Geld bringt, sind Erweiterungen, die in das Spiel eingreifen, indem die Figur schneller wird, höher springen oder genauer schießen kann.“ Dieser Erklärung fügte er einen Begriff hinzu, die das Spielprinzip auf den Punkt bringt: Digitales Doping.

Dass mit diesen Spiel-Elementen ethische Grundprinzipien aufgegeben werde, ist in der Branche ein durchaus beachtetes Thema. Auf der der Entwicklerkonferenz 2012 in San Francisco gab es eine Podiumsdiskussion zu dem Problem: When does effective freetoplay design become an ethical matter? Wann wird effektives free-to-play design eine ethische Angelegenheit?

Nic Davidson von Amazon fand hier harte Worte für die Entwickler von Free-to-play Games. „Die langfristige Folge davon (psychologisch manipulative Design Techniken in den Spielen zu verwenden) sei, dass wir den Brunnen vergiften. Unsere Nutzer werden abgehärtet gegen Virale Tricks, die wir benutzen, um die Leute dazu zu bringen, dass sie das tun, was wir wollen.“

Auch in Deutschland gibt es Hinweise darauf, dass Entwickler die ethischen Dimensionen des f2p-Geschäftsmodells reflektieren. Nicholas Lovell, Autor von Design Rules Free-to-play games, (die es leider nur für den Kindle zu kaufen gibt) und Verfasser des täglich erscheinenden Gamesbrief, hat angekündigt, dass sich dieser Newsletter im Jahre 2013 vorrangig ethischen Fragen des Geschäftsmodells widmen wird. Ohne Grund hat er das sicher nicht getan.
GAMESbrief in 2013–ethics are coming front and centre .

Neben besonnenen Entwicklern wie Herrn Lovell gibt es aber weiter solche wie
Teut Weidemann, Chef-Entwickler bei Ubisoft, der erklärt:

  • Der Schlüssel für den Free-to-play Erfolg ist es, die menschliche Schwäche auszunutzen (Dieses Prinzip erklärt er anhand der sieben Erbsünden)
  • Wenn man vor den Spielern versteckt, was andere tatsächlich bezahlen, dann kann man mehr Geld kriegen, ohne dass die Spieler sauer werden.
  • Vorteile zu verkaufen, wird als etwas Böses angesehen. Das ist vorbei in f2p Spielen.

(„the key to free-to-play success is to exploit human weakness“ If you hide from the players what other players are actually paying for, you can get more money without making players angry.“ „Selling advantages is seen as evil. That’s over for free-to-play games.“)

Zur Ehre der Community sei gesagt, dass diese Thesen von Teut Weidemann umstritten waren. Ein Kommentar fleht: Bitte, bitte, lasst dies einen satirischen Beitrag sein („Please please please let this be a satirical performance act„)
Aber er fleht umsonst. Die gleichen Grundsätze hatte ein chinesischer Entwickler, Zhan Ye, bereits auf dem „Virtual Goods Summit“ 2009 in San Francisco ohne jegliche satirische Absichten verkündet. Seine PowerPoint Folien kann man bei SlideShare downloaden:

  • Gutes Game design basiert auf einem tiefen Verständnis der menschlichen Psychologie.
  • In gewisser Weise beuten Spiele-Entwickler die Schwächen der Menschen aus.
  • In gewisser Weise funktionieren f2p Spiele wie Casinos in Las Vegas.

(„Good monetization design is based on deep understanding of human psychology.
In a sense, game designers are exploiting people’s weaknesses …
In a sense, F2P games are operated like casinos in Las Vegas“).

Viele der Design Regeln für free-to-play Spiele sind tendenziell geeignet, ein Suchtpotential zu erzeugen bzw. dieses zu erhöhen. Wie das geschieht, kann hier nicht im Einzelnen ausgeführt werden. Den Spielern scheint der Zusammenhang jedoch klar zu sein. Ein Kommentar zu den oben zitierten Thesen von Teut Weidemann lautete:

Entwickler sollten nicht reden wie Drogendealer.
Developers shouldn’t talk like drug-dealers.

Wie Bilder im Kopf zur tödlichen Wirklichkeit werden können

Massaker an Zivilisten in dem Kriegsspiel
Call of Duty: Modern Warfare,
das A. Breivik gespielt hat und das er für Zieltraining empfiehlt

Überarbeitete Version vom 25. August 2011

Im Folgenden habe ich aufgezeigt, dass A. Breivik das Computerspiel Call of Duty: Modern Warfare 2 nicht nur für Schießtraining verwenden, sondern darin auch ein Massaker an einer großen Anzahl von wehrlosen Menschen proben konnte, und zwar in der berüchtigten Flughafenszene.

Download als PDF: A. Breivik und das Massaker an Zivilisten in Call of Duty Modern Warfare 2

English version: A. Breivik and the massacre on civilians in Call of Duty Modern Warfare 2

 

Marksmanship training

Target practise is likely going to be a problem for many people in certain countries (urban Europeans like us, ouch:). Consider taking a vacation to a country where you are able to train in marksmanship or join a gun club. Simulation by playing Call of Duty, Modern Warfare is a good alternative as well but you should try to get some practise with a real assault rifle (with red point optic) if possible.”

S. 900 von A. Breiviks „Manifest“

Zieltraining

Übung in Zielschießen wird wahrscheinlich für viele Leute in gewissen Ländern (städtische Europäer wie wir, autsch :) ein Problem sein. Erwägt einen Urlaub in einem Land, wo ihr Zielschießen praktizieren oder einem Schützenverein beitreten könnt. Simulation, indem man Call of Duty, Modern Warfare spielt, ist ebenfalls eine gute Alternative, aber ihr solltet, wenn möglich, versuchen mit einer richtigen Angriffswaffe (mit Rotpunkt Optik) etwas Übung zu bekommen.

 

February 2010

I just bought Modern Warfare 2, the game. It is probably the best military simulator out there and it’s one of the hottest games this year. I played MW1 as well but I didn’t really like it as I’m generally more the fantasy RPG kind of person – Dragon Age Origins etc. and not so much into first person shooters. I see MW2 more as a part of my training-simulation than anything else. I’ve still learned to love it though and especially the multiplayer part is amazing. You can more or less completely simulate actual operations”.

S. 1418 von A. Breiviks „Manifest“

Februar 2010

Ich habe mir gerade Modern Warfare 2, das Spiel gekauft. Es ist wahrscheinlich die beste Militärsimulation da draußen, und es ist eines der heißestens Spiele in diesem Jahr. Ich habe auch MW1 gespielt, aber es gefiel mir nicht wirklich, da ich im allemeinen mehr der RPG Typ bin – Dragon Age Origins etc. und nicht so sehr der für Ego- Shooter. Ich sehe MW2 mehr als Teil meiner trainings-simulation an als sonst etwas. Ich habe es jedoch zu lieben gelernt, und insbesondere der Multiplayer Teil ist erstaunlich. Man kann mehr oder weniger vollständig richtige Operationen simulieren.

 

A. Breivik empfiehlt für Schießtraining das Kriegsspiel Call of Duty: Modern Warfare 2 und sagt, er habe es selbst in erster Linie als Trainingssimulation benutzt.
Darüber wurde in einigen Medien zwar kurz berichtet, aber nur wenige thematisierten einen möglichen Zusammenhang zwischen der Nutzung dieses Spiels und A. Breiviks Taten. In Computerspielzeitschriften und Gamer-Foren wurden entsprechende Erklärungen mit Empörung zurückgewiesen. So schrieb das Krawall Gaming Network: „Inzwischen sind viele dieser im ersten Sturm auf das Amoklauf-Buffet entstandenen Schlagzeilen zum Glück schon wieder verschwunden, und nur die verärgerten Blog-Einträge von Spielern mit beigefügten Screenshots belegen noch ihre Existenz. Schön, dass man in den Reaktionen nach ein paar Stunden gemerkt hat, was für einen Quatsch man wieder verzapft hat.“{{1}}
Verbot von BrotIn Amerika qualifizierte Christopher Ferguson diejenigen, die einen Zusammenhang zwischen medialem und realem Töten für möglich hielten, sogar als rassistisch. „Wenn es Schießereien in Innenstädten, in Schulen mit Angehörigen von vielen Minderheiten gibt, dann geht es danach niemals um Videospiele. Wenn so etwas aber in Schulen passiert, wo Weiße in der Mehrheit sind oder in den Vorstädten, dann rasten die Leute aus und zeigen mit dem Finger auf Videospiele. Ich denke, das hat entweder mit Rassismus oder mit Unwissenheit zu tun.“ Und weiter sagt er: „Gewalthaltige Computerspiele für den Massenmord eines jungen Mannes verantwortlich zu machen, ist genauso sinnvoll, wie das Töten auf die Tatsache zu schieben, dass er vielleicht Turnschuhe getragen hat.“{{2}}
Unter Spielern wurde auf dem gleichen Niveau diskutiert. So wurde auf diversen Internetseiten ein satirisches Poster hervorgeholt, das schon nach der Winnenden-Debatte benutzt worden war. Es forderte das Verbot von Brot: 90% aller Amokläufer hätten vor ihrer Tat Brot gegessen.

Diese Argumentation unterstellt den Kritikern von Mediengewalt monokausale Erklärungen für Taten wie die von A. Breivik. Die Redundanz, mit der sie seit Jahren wiederholt wird, ist erstaunlich. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat immer wieder herausgestellt, dass entsprechende Aussagen auf einem Risikomodell beruhen und kein Wirkungsautomatismus behauptet wird: Bei labilen, angeschlagenen Menschen, die sich sowieso schon an Macho-Vorbildern orientieren, können Gewaltspiele Aggression verstärken, bzw. Empathie-Vermögen reduzieren.

Im Falle von A. Breivik müssen bisherige Erklärungsmodelle jedoch um einen Faktor ergänzt werden: die Rationalisierungen durch ideologische Rechtfertigung. Sein Sendungsbewusstsein führte dazu, dass er etwa auch das Töten von Frauen, was seinem ritterlichen Selbstbild eigentlich entgegensteht, rechtfertigte, ebenso wie den Einsatz kleinerer Atomwaffen, die den anstehenden Europäischen Bürgerkrieg schneller beenden und damit hunderttausende von Leben retten würden.

Von daher überzeugt die Analyse von Jens Minkmar, der in einem Essay in der Frankfurter Allgemeinen den Geisteszustand A. Breiviks mit dem von SS-Männern in der Sowjetunion vergleicht und der Behauptung widerspricht, A. Breivik sei geisteskrank. Mit Recht fragt er: „Waren die Angehörigen der Einsatzgruppen und der SS alle geisteskrank, die Operation Barbarossa ein kollektiver Amoklauf?“ und stellt dann fest: „Dies ist eine Tat, die wir im Lichte der Geschichte des 20. Jahrhunderts betrachten müssen, denn wir kennen Breivik schon lange. Wir hatten ihn bloß vergessen.“{{3}}
Das Tertium Comparationis ist die Verblendung durch eine Ideologie, die Empathie schwinden lässt und emotionslosen Massenmord erlaubt.

Eine zweite Besonderheit muss bei A. Breivik bedacht werden, nämlich die von ihm behauptete Nutzung des Spiels für Schießtraining, also für das Einüben mechanischer Fähigkeiten, wie sie fürs Schießen auf bewegliche Ziele notwendig sind.

Ein Spielerforum bezweifelte „dass jemand durch Mausschubsen den Umgang mit einer realen Waffe erlernt.“{{4}} Derartige Argumente übersehen die möglichen Transfer-Effekte beim Spielen. Es geht nicht um den Umgang mit der Waffe, sondern (unter anderem!) um das Einüben von Auge-Hand-Koordination, einer Fähigkeit, die von Spielebefürwortern regelmäßig als zentraler Lerngewinn beim Computerspielen angesehen wird. Auf der Internetseite von Electronic Arts heißt es dazu: „Eine Untersuchung des renommierten Beth Israel Medical Center in New York hat gezeigt, dass sich auch ganz normale Actionspiele positiv auf die motorischen Fähigkeiten von Ärzten auswirken. Die Langzeitstudie ergab, dass Chirurgen, die sich regelmäßig mit Computerspielen beschäftigen, bis zu 37 Prozent weniger Fehler machen als andere – und auch noch schneller operieren als ihre Kollegen.“{{5}} Niemand in der Spieler-Community kam bei Nachrichten über diesen Zusammenhang auf die Idee, zu sagen: „Den Umgang mit den Skalpell lernt man nicht mit Mausschubsen.“
A. Breivik, der auf er auf eine große Anzahl von „beweglichen Zielen“ schoss, der mit zwei Waffen agierte, womöglich auch noch seine Opfer fotografierte, benötigte für seine Untaten Auge-Hand-Koordination und wird wissen, was er sagt, wenn er das Computerspiel als Trainings-Option empfiehlt.

Es ist wohl den PR-Aktivitäten der Spieleindustrie zu verdanken, dass die zitierten Aussagen des Attentäters in der Öffentlichkeit so wenig Beachtung fanden. Nach dem Amoklauf von Winnenden befasste sich eine Hart-aber-Fair Sendung ausschließlich mit der der Gefährdung des Täters durch Gewaltspiele. Nach dem 22. Juli 2011 gab es nur wenige Beiträge in Zeitungen.{{6}} Weder die ZEIT noch der SPIEGEL hielten die zitierten Aussagen für berichtenswert.{{7}}

Eine bestimmter Inhalt von Call of Duty: Modern Warfare 2, dem erfolgreichsten aller Videospiele,{{8}} hat jedoch in die Berichte über A. Breiviks Nutzung des Spiels (zumindest die in Deutschland) noch keinen Eingang gefunden, nämlich die Tatsache, dass in einer Anfangsmission der Spieler als CIA-Undercover-Agent russische Terroristen begleiten und zusammen mit diesen auf einem Flughafen ein Massaker unter wehrlosen Zivilisten anrichten kann.{{9}}

Flughafenszene

Massaker in Call of Duty: Modern Warfare 2Spieler/CIA Undercover Agent (Halter der Ego-Shooter-Waffe) erschießt zusammen mit russischen Terroristen wehrlose Zivilisten, auch flüchtende, z.B. die Frau unten links, die gerade vor die Waffe läuft.(Zum Vergrößern in das Bild klicken)

Wohl kaum eine Computerspielszene wurde bisher mehr diskutiert als diese, nicht nur wegen ihres skandalösen Inhalts sondern auch, weil sie vor Erscheinen von Call of Duty: Modern Warfare 2 geleakt wurde, d.h. auf dubiose Weise vorzeitig in die Öffentlichkeit gelangte. Viele Zeitungen schrieben seinerzeit über diese Szene, und im Internet wurde sie in sämtlichen Spielerforen und von sämtlichen Spiele-Magazinen besprochen, fast durchweg kritisch,{{10}} und fast durchweg wurden Bilder dieser Szene gezeigt.“

Raffael Schupisser beschrieb die so genannte „Flughafenszene“ in der Neuen Züricher Zeitung als „die abscheulichsten dreieinhalb Minuten Spielzeit der Videospielgeschichte.“{{11}} Was die Dauer betrifft, scheint allerdings auch die deutsche Version variabel zu sein. Eine Recherche in YouTube, wo fast eine halbe Millionen Videoclips von Call of Duty: Modern Warfare 2 zu finden sind, zeigt, dass Spieler es in dieser Szene auch auf 9 Minuten gebracht haben.{{12}}

In YouTube Beispielen der ungeschnittenen Version sieht man, wie der Spieler/Agent ganz nah an die Menschen in der Wartehalle herantritt und diese dann geradezu niedermäht. Es bricht Panik aus, die Menschen flüchten, man hört ihre Schreie. Der Spieler folgt dann den Terroristen, die sich frei durch die Räumlichkeit des Flughafens bewegen können, wo sie an verschiedenen Orten immer wieder Opfer finden. Gelegentlich schießen sie von einem erhöhten Standpunkt auf die Menschen in der Wartehalle. Kinder befinden sich unter den Opfern nicht, aber Frauen sind als solche deutlich zu erkennen. Es wird auf Flüchtende aus nächster Nähe geschossen, auf Verwundete, die am Boden kriechen, auch auf einen Menschen, der versucht, einen Verletzten aus der Schusslinie zu ziehen. Die Täter schreiten über Leichen und durch Blutlachen.
Eine albtraumhafte Szene.

In Deutschland hat die USK diese Mission in einer Weise deaktivieren lassen, dass der Spieler selbst nicht auf Zivilisten (oder Terroristen!) schießen darf. Tut er es, muss er sie von vorn beginnen. Norwegen jedoch ist ein PEGI-Land (Pan European Games Information), und in diesen erschien das Spiel ungeschnitten. Das heißt A. Breivik konnte diese Mission spielen.

Dass nach dem 22. Juli in den deutschen Medien nicht – oder noch nicht? – auf das Flughafenmassaker in Call of Duty: Modern Warfare 2 hingewiesen wurde, hat sicher unterschiedliche Gründe. Viele Redakteure und Journalisten werden die Szene nicht kennen. Aber vielleicht hat die PR- Strategie der Spielindustrie bereits eine gewisse Selbstzensur erzeugt, so dass sie auf die naheliegende Recherche in YouTube verzichteten, wo man relativ schnell auf die Szene stößt.
Dass Spielezeitschriften und Spielerforen kein Interesse an dieser Art von Aufklärung haben, liegt auf der Hand: Viele Spieler fühlen sich unverstanden und – tatsächlich – stigmatisiert.{{13}} Sie fürchten, dass ihr Ansehen in der Öffentlichkeit weiter leidet, und vor allem fürchten sie eine neue Verbotsdebatte. Ich denke jedoch, eine mutige Auseinandersetzung mit den Aussagen A. Breiviks würde ihrem Ansehen eher nützen.
Kein Mensch behauptet heute monokausale Zusammenhänge zwischen Spielegewalt und realer Gewalt. Aber angesichts der Ungeheuerlichkeit der Taten gilt, was Nils Minkmar in dem erwähnten FAZ Artikel in Bezug auf A. Breivik schrieb: „Wir sind es den Opfern schuldig, zu studieren, was er geschrieben hat, wie er vorgegangen ist, bis ins kleinste Detail.“
Und EIN kleines Detail ist diese wüste Szene. In dem zitierten Artikel in der Neuen Züricher Zeitung (2009!) schrieb Raffael Schupisser, der der Mission eigentlich eine aufklärerische Intention unterstellte: „Man kann sich auch gut vorstellen, dass diese Szene bei psychisch labilen Menschen einen negativen Effekt haben könnte.“
Das kann man sich tatsächlich vorstellen. Das eingangs genannte Risiko-Modell für die Wirkung medialer Gewalt meint genau solche Menschen. Sie lernen mit medialen Gewaltszenen nicht nur, Tötungshemmungen zu überwinden. Solche Szenen können auch eine gewisse Trigger-Funktion haben. Es ist denkbar, dass das virtuelle Massaker in Call of Duty: Modern Warfare 2 die Phantasie des A. Breivik angeregt hat und dass er es im „Hinterkopf“ hatte, als er begann einen Massenmord an wehrlosen Menschen zu planen.

Die Informationen, vor allem die Bilder, die zur Diskussion eines möglichen Zusammenhangs notwendig sind, sollten der Öffentlichkeit jedenfalls zur Verfügung stehen.

©2011 Regine Pfeiffer


[[1]]http://www.krawall.de/web/Killerspiele/news/id,59150/ (04.08.2011)[[1]]
[[2]]http://www.pcgames.de/Killerspiele-Thema-158840/News/US-Professor-Es-ist-rassistisch-Computerspiele-fuer-den-Massenmord-in-Norwegen-verantwortlich-zu-machen-836671/ (17.08.2011)
Christopher Ferguson war einer derjenigen Wissenschaftler, die dem Obersten Gerichtshof in Amerika Argumente gegen ein Gesetz lieferten, das den Verkauf von Gewaltspielen an Minderjährige verbieten sollte.[[2]]
[[3]]http://www.faz.net/artikel/C32742/anders-breivik-wahn-und-sinn-30476396.html (10.08.2011)[[3]]
[[4]]http://stigma-videospiele.de/wordpress/?p=5431 (10.08.2011)[[4]]
[[5]]http://www.presse.electronic-arts.de/publish/page206497939457032.php3?messageid=650 (10.08.2011)[[5]]
[[6]]Neben dem zitierten Essay von Jens Minkmar in der FAZ, ein Interview mit Bert te Wildt, dem Vorsitzender des Fachverbands Medienabhängigkeit, in der TAZ, http://www.taz.de/!75263/ (05.08.2011)
und in der Süddeutschen ein Beitrag von Bernd Graff „Ego-Shooter als Massaker-Vorbereitung“ http://www.sueddeutsche.de/digital/anschlaege-in-norwegen-wie-der-attentaeter-sich-mit-ego-shootern-vorbereitete-1.1125117 (05.08.2011)[[6]]
[[7]]Genauere Berichte über den Inhalt von Call of Duty: Modern Warfare 2 gab es interessanterweise in Australien. Offensichtlich ist der Grund dafür, dass in diesem Land die Kontroverse um die Wirkung von Mediengewalt genau am 22. Juli 2011 ihren Höhepunkt erreicht hatte und an diesem Tag die Einführung einer 18+ Wertung für Computerspiele beschlossen wurde, die bis zum Ende des Jahres realisiert werden soll. Im Kontext dieser Debatte hatten Zeitungen des Landes wohl auch schnell Massaker-Szenen aus Call of Duty: Modern Warfare 2 parat und bildeten sie ab. Zunächst im Sidney Morning Herald, später auch in anderen Zeitungen.
http://www.smh.com.au/digital-life/games/from-fantasy-to-lethal-reality-breivik-trained-on-modern-warfare-game-20110725-1hw41.html (03.08.11)
(Vorlage für meinen Titel!)[[7]]
[[8]]Allein in England und in den USA wurden am ersten Tag des Erscheinens 4,7 Mio. Spiele verkauft. Damit verdrängte
Call of Duty: Modern Warfare 2 GTA IV vom ersten Platz, das es ein Jahr früher auf 3,6 Mio. gebracht hatte.[[8]]
[[9]]Dem Spieler wird angeboten, dass er diese Mission wegen ihres vielleicht „anstößigen“ Inhalts überspringen kann.[[9]]
[[10]]Ein gutes Beispiel: Der Redaktionskommentar der Zeitschrift GameStar, der in die Szene eingefügt ist. http://www.gamestar.de/index.cfm?pid=1589&pk=13105&ci=search&search=mod (01.08.2011)[[10]]
[[11]]http://www.nzz.ch/magazin/unterhaltung/spielrezensionen/grenzerfahrungen_fuer_ego-shooter_1.4036779.html (01.08.2011)[[11]]
[[12]]http://www.youtube.com/watch?v=H51cZLk7rsI (05.08.2011)
Es gibt viele Beispiele in YouTube; Suchbegriffe: Call of Duty Airportscene. Interessant sind die Spielerkommentare zu den jeweiligen Videoclips.[[12]]
[[13]]Symptomatisch dafür ist das Forum Stigma Videospiele, in dem, wie ich finde, eine gewisse Wagenburgmentalität gepflegt wird.[[13]]